Weite, menschenleere Hochplateaus, kleine Siedlungen und tiefe Täler mit Weitsichten in die äthiopischen Tiefländer – das ist das Menz Guassa Hochplateau. In Zusammenarbeit mit der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft ist hier in den letzten Jahren zum Schutz der biologischen Vielfalt und der traditionellen Wirtschaftsweisen der Bewohner ein Naturschutzprojekt entstanden, welches auch Touristen ermöglicht, die Region kennenzulernen.
Ich bin unterwegs bei einem meiner Streifzüge durch diese schroffe Bergwelt, als sich plötzlich bei meiner Mittagspause Tesfaye zu mir gesellt und mich fragt, was ich hier so mache. Tesfaye ist Bauer hier oben und sucht offensichtlich auch nach einem Gesprächspartner in seiner Mittagspause. Sein Acker sei nur ein paar hundert Meter weiter, aber das mühsame Pflügen mit dem Ochsenpflug verlangt ihm nun in der Mittagshitze auch eine Pause ab. Verständnis dafür, dass ich wegen der faszinierenden Bergwelt und ihrer Tiere zum Fotografieren hier bin, hat Tesfaye weniger und wechselt schnell das Thema. Woher ich käme, das interessiert ihn mehr. „Deutschland. Angela Merkel!“, fällt ihm hierzu spontan ein und ich wundere mich, dass unsere Bundeskanzlerin auch bis in die entlegensten Bergdörfer Äthiopiens bekannt ist. Aber ein kleines Taschenradio ist hier im Besitz vieler Bauern und Deutsche Welle Radio bis in die entlegensten Ecken zu empfangen. Schnell entwickelt sich ein lustiges Gespräch über Deutschland zwischen uns. Er habe im Fernsehen gesehen, dass wir hier mit großen Maschinen unsere Felder bestellen und deswegen alle satt werden. Vielleicht eine etwas stark vereinfachte Ansicht unserer westlichen Lebensweisen, aber es würde auch zu weit führen mit Tesfaye nun eine Diskussion über Massentierhaltung, Gentechnik und andere Probleme unserer industrialisierten Landwirtschaft zu führen. Im Gegenteil, wenn ich seinen Pflug mit den beiden ausgemergelten Ochsen im Gespann sehe, kann ich seine Sehnsucht sogar nachvollziehen.
Ich versuche Tesfaye stattdessen zu erklären, dass er stolz sein kann auf sein Leben. Er solle den Fortschritt nicht neiden – ganz im Gegenteil. „Ich kann mich für die Lebensweisen der Menz begeistern und finde Sie viel nachhaltiger als vieles was ich aus Europa an Nachhaltigkeit kenne“, erkläre ich. Die Menz kultivieren neben ihrer Landwirtschaft und der Viehhaltung auch das sogenannte Guassa Gras (festucca grass). Das Gras kann nämlich auf vielerlei Arten verwendet werden und beschert seit Jahrhunderten den Haushalten ein lukratives zusätzliches Einkommen. Auf den Märkten der Region und sogar bis in die ferne Hauptstadt Addis Abeba können sie diese Ressource, die als optimale Strohbedachung für die traditionellen Rundhütten gilt, vermarkten. Aber besonders der steigende Landdruck durch zunehmende Bevölkerungszahlen und auch das Streben vieler Bauern nach einer Modernisierung in der Landwirtschaft haben die Kultivierung des Grases zu Beginn des Jahrtausends fast völlig verschwinden lassen. Ein ökonomisches aber auch ein ökologisches Desaster, denn dadurch engten sich die Lebensräume vieler Tiere und Pflanzen immer mehr ein, da die einst üppigen Graslandschaften nicht mehr notwendigerweise erhalten werden mussten. Vielerorts lösten Äcker und Landwirtschaft die Naturlandschaften ab.
Mittlerweile, so erzählt mir Tesfaye, haben er und viele andere Menz aber einiges über die Bedeutung dieses Wirtschaftszweiges gelernt. Durch Mitarbeiter der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft wurden sie über die Bedeutung und Wichtigkeit des Grases und seiner ökologischen Funktion geschult. Er muss selbst darüber lachen, dass es Experten brauchte, ihnen zu erklären, was über Jahrhunderte lokales Wissen und gängige Praxis in Menz Guassa war. Durch die saisonale Kultivierung der noch bestehenden Grasländer gelingt es heutzutage wieder vielen Bauern einen guten Nebenerweb zu erwirtschaften.
Zusätzlich zum Verkauf des Grases gesellt sich durch die Unterstützung aus Deutschland nun auch ein neuer Wirtschaftszweig für die Familien hinzu. Ökotourismus wurde gestärkt durch die Errichtung einer lokal-verwalteten Selbstversorgerherberge und einer Vermarktung der Region über internationale Medien. Mittlerweile kommen besonders Wandertouristen und Naturliebhaber nach Menz Guassa und erkunden diese Oase der Biodiversität. Die Grasländer sind Heimat einer einzigartigen Flora, aus der die Riesenlobelien mit ihren fast zwei Meter langen Blütenstämmen herausstechen. Insgesamt gibt es hier 26 verschiedener Säugetierarten, von denen sieben lediglich in Äthiopiens Hochländern vorkommen. Der stark bedrohte äthiopische Wolf findet hier noch einen der wenigen Rückzugsräume, die das scheue Tier zum Überleben benötigt.
Der äthiopische Wolf – ein scheuer Bewohner (Foto: Guassa Community Conservation Area)
Auf den von der Lokalbevölkerung angebotenen Mehrtageswanderungen, die man entweder von der Lodge aus unternehmen kann oder mit Übernachtungsmöglichkeiten auf einfachen Zeltplätzen, erschließt sich dem Besucher diese reichhaltige Kulturlandschaft. Immer wieder durchquert man unterwegs auch Ackerland und benachbarte Siedlungen und kommt mit dem Brauchtum der Menz in Berührung. Auf einer meiner Wanderungen werde ich spontan in ein Bauernhaus eingeladen und bekomme eine Einweisung in die traditionelle Webekunst der Menz, die hier hauptsächlich von Männern praktiziert wird.
Für Äthiopienreisende ist Guassa noch ein wahrer Geheimtipp und DIE Chance, mit äthiopischer Tradition, dem Landleben und der Natur in Berührung zu kommen. Auch wenn sich Tesfaye über die Faszination der Besucher für die Tier- und Pflanzenwelt wundert, freut er sich doch über die Touristen und sieht somit die Notwendigkeit des Erhaltes der Naturlandschaft, da die Touristen ja schließlich auch Geld in die Region spülen. Und noch viel wichtiger: Erstmal zurück zu Hause berichten sie sicherlich von der Schönheit Äthiopiens und das sei wichtig, damit endlich man Schluss sei mit dem Bild vom Hungerland am Horn von Afrika.
Ein Besuch in Menz Guassa bietet sich auf Touren in den Norden Äthiopiens an, da die Region lediglich 80 Kilometer entfernt vom Highway nach Norden liegt. Es ist eine Reise, die einen bleibenden Eindruck hinterlässt und eine adäquate Alternative zu den touristisch überlaufenen Simien-Bergen. Tesfaye kennt die Simien-Berge nur aus dem Fernsehen und sowieso hat er Menz Guassa in seinem 47-jährigen Leben bisher nur wenige Male verlassen. Einmal, so erinnert er sich, sei er in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba gewesen, aber konnte nur den Kopf schütteln über das Chaos dieser Großstadt. Mit seinem überschaubaren Leben als Bauer sei er viel zufriedener. „Siehst Du, Tesfaye, erwidere ich, genau das ist der Grund, weshalb Touristen gerne hierher kommen. Weil Sie aus einer turbulenten Welt in Europa kommen und hier zufriedener sein können.“
Via Verde Reisen besucht auf seiner Reise durch Nordäthiopien u.a. das Menz Guassa Hochplateau und erkundet anderhalb Tage lang die Kultur und Natur der Region.